„Die Autobahn runterfahren und dabei toller Musik zu lauschen gehört doch mit zum Besten was das Leben zu bieten hat, oder? Ich möchte mir auf jeden Fall gleich daraufhin eine Gitarre greifen und einen neuen Song schreiben“, schrieb The free wheelin Dirk Darmstaedter vor einem guten Jahr in seinen Blog. Seit 1988 drückt er musikalisch permanent aufs Gas. Man kennt ihn als Sänger der Jeremy Days, die ab Ende der Achtziger ein paar stilvolle Hits vom Kaliber „Brand New Toy“ komponierten, man kennt ihn seit 2002 als Chef von tapete records, der Hamburger Independent-Plattenfirma, die er von Null aufbaute, und die heute auch internationale Acts beherbergt. Man kennt ihn mit Band als Me and Cassity und natürlich einfach auch als einen der besten Songwriter des Landes, als „one of Germany’s underground pop heroes“, wie die New York Times es unlängst einschätzte. Jetzt war die Zeit gekommen, auch mal die Bremse zu benutzen und das neue Album „Before We Leave“ zu veröffentlichen. Ein Widerspruch? Na ja… das hier ist die Welt von Dirk Darmstaedter.
Die Bremse gehört zum Transporter tapete records, den Darmstaedter neben seinem eigenen Tour-Cruiser zwölf Jahre lang gefahren hat. Ein Art Magical Mystery Bus, in dem man gerade hinten Spaß hat, am Lenkrad jedoch auch jede Menge Verantwortung. Darmstaedter gab Ende letzten Jahres die Schlüssel des tapete-Büros an seinen Kompagnon ab. Ein Abschied „im Guten„, wie er betont. „Als Labelchef hatte ich alles erreicht was ich wollte: hey, ich habe Bernd Begemann und Lloyd Cole gesigned!“ grinst er. „Die Zeit rauscht nur so vorbei, und ich möchte noch ein wenig dem Ungewissen hinterherjagen, ohne Netz und doppelten Boden unterwegs sein, mich ganz auf meine Musik konzentrieren. Manchmal muss man sich einfach mal von Sachen trennen, um zu sehen was sonst noch auf einen wartet.“
„Before We Leave„, Darmstaedters bisher fünftes Solo-Album, erscheint auf seinem neuen Label Teaneck Records. Ein Label nur für ihn, mit einem Name, der eine ganz besondere Bedeutung für ihn hat, bzw. zwei. Mindestens.
Teaneck Records
„Mit Fünf zog ich mit meinen Eltern nach Teaneck, New Jersey, wo ich eine sehr glückliche Kindheit verbrachte. Als wir sechs Jahre später wieder nach Hamburg zurückkehrten, wo immer schlechtes Wetter war und niemand Baseball spielen konnte, wollte ich nur umkehren. Teaneck wurde mein Sinnbild für alles was schön und -nicht Hamburg- war„, erzählt Dirk Darmstaedter von seinem ambivalenten Verhältnis zu Teaneck. Da passt ein Albumtitel wie „Before We Leave“ mit seinen verschiedenen Bedeutungsebenen vielleicht ganz gut dazu. Zum einen kann es einen Abschied bezeichnen, wenn man jemanden verlässt, es kann jedoch auch eine Aufforderung zum Aufbruch sein.
Wer ein cleveres Konzept dahinter vermutet, kennt Darmstaedters Vertrauen in die Weisheit der Musen jedoch noch nicht. „Ich singe ja beim Komponieren meistens einfach so Textfetzen, die mir ins Gehirn schießen, während ich beispielsweise ein Riff ausprobiere. Ich editiere das dann erst später. Ich lasse erst einmal alles zu. Irgendwann fing ich an „Before we leave“ zu singen. Dass daraus das Titellied meiner Platte entstehen würde, war mir natürlich nicht klar.“ Es ist auch weniger ein inhaltlich verknüpftes Album geworden als ein Werk, das von der Stimmung lebt, die man im Sound des Seventies Westcoast findet („The Half Life„), aber auch in Liedern der New York Poeten Lou Reed und Elliott Murphy („Capetown„). Ein Widerspruch? Na klar! Einer, der sich in der Geschichte Darmstaedters löst.
Nachdem der junge Dirk jahrelang an Hamburg herumgenörgelt hatte, durfte er alleine wieder zurück nach Teaneck, um dort die Highschool abzuschließen. Doch was er vorfand, war nicht mehr das Paradies seiner Kindheit: „Als Teenager war diese amerikanische Kleinstadt plötzlich zur puritanischen Hölle geworden, zu einem Platz, den man möglichst schnell wieder verlassen will.“ Ein und derselbe Ort hatte nun zwei Bedeutungen, die für ein Gefühl, das keine Mehrzahl kennt nichts taugen: Heimat. Eine Situation, die zum Reisen auffordert, zur Suche. So begann Darmstaedter sein musikalisches Leben mit Interrailticket und Gitarre, bereiste die großen Städte Europas, um zu lernen wie man mit Musik überleben und Geld verdienen kann, weil man die Leute zu unterhalten vermag. Das zahlte sich aus. Mit den Jeremy Days stürmte er ab 1988 die Hitparaden. Noch heute dreht jedermann das Radio lauter, wenn die Worte „she wakes me from my sweet jealousy“ erklingen.
Mit Teaneck Records hat er jetzt einen Ort geschaffen, den es mit neuer Bedeutung zu füllen gilt: „Das Einzige was du als Künstler tun kannst, ist den Kopf mit lauter guten Sachen vollzustopfen; mit guten Büchern, guten Platten, gutem Essen und guten Gesprächen. Dann stellst du auf Output und musst machen, machen, machen„, lacht er. „Am Schluss wird editiert.“
ALBUM FACTS
„Before We Leave“ wurde im Sommer 2013 im Hamburger Le Chatelet Studio von Dirk Darmstaedter selbst produziert. Am Mischpult stand ihm dabei, wie bei seinen letzten beiden Platten („Appearances“ & „The Wrong Boy„), Gregor Hennig zur Seite. Hennig mixte das Album im Studio Nord, ein Studio, das ursprünglich für Aufnahmen mit Kinderstar Heintje eingerichtet worden war und heute der Traum eines jeden Vintage-Recorders ist.
In Dirk Darmstaedters musikalischem Leben haben sich mit den Jahren so einige feste Größen entwickelt. So ist beispielsweise Lars Plogschties an den Drums schon gar nicht mehr wegzudenken. Zum einen wurde ihm die Ehre zu Teil mit seiner Band besser die erste Veröffentlichung von tapete records zu markieren, zum anderen war sein Beat schon auf Darmstaedters erster tapete-Platte „Hope, With A Pain Chaser“ zu hören. Aber immer wieder gibt es neue Kooperationen. Dieses Mal ist Mike Finnigan dabei, der bereits 1968 Orgeln für Jimi Hendrix´ Electric Ladyland einspielte und im Laufe der Jahre mit und für Bonnie Raitt, Rod Stewart, Taj Mahal oder auch Leonard Cohen im Einsatz war. Darmstaedter hatte ihn im letztes Jahr bei einem Bonnie Raitt Konzert in Hamburg erlebt: „sowas hatte ich noch nie gesehen. Das war unfassbar gut! Booker T and the MGs Style. Nach der Show war ich backstage und habe mit ihm gequatscht, und ob er bei zwei, drei Stücken meiner neuen Platte gerne mitspielen würde.“ Die Antwort war „Ja, klar!“ Und so traf man sich im Garagenstudio eines Kumpels in Los Angeles, um Orgel und Klavier aufzunehmen. Ein Klavier, auf dem zufälligerweise die ersten drei Platten von The Band aufgenommen wurden. Jetzt ist es auch auf „Capetown“ zu hören.