Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern, also warum weiter den Kopf darüber zerbrechen? Zu diesem Schluss kam Tim Crabtree alias Paper Beat Scissors. „Go On“ heißt sein zweites Album, und es handelt vor allem davon nach vorne zu blicken und weiterzumachen. „Oft brauche ich selbst eine gewisse Zeit, bis ich verstehe, um was es in meinen Songs geht. Es ist fast so, als würde ich sie schreiben, um herauszufinden, was in meinem Kopf vorgeht“, sagt er. „Und dieses Mal stellte ich irgendwann fest, dass das Thema Bewegung immer wieder auftaucht – im wörtlichen Sinne, aber auch im Sinne von Neuanfang.“
Mit Neuanfängen kennt Crabtree sich aus: Vor gut zehn Jahren siedelte der Brite nach Kanada um. Schnell machte er sich in der örtlichen Musikszene von Halifax einen Namen. Sein selbstbetiteltes Debütalbum sorgte in ganz Kanada für Jubelschreie – „one of the scene’s most haunting singers and original songwriters“ zum Beispiel schrieb die Ottawa Sun – verzückte ein Jahr später Musikliebhaber in Deutschland, Österreich und der Schweiz und wieder ein Jahr später schließlich auch die Briten. „Dass das Album ein so langes Leben hat, hätte ich nie gedacht“, staunt er. „Auf einmal waren drei Jahre vergangen und ich hatte noch nicht mal angefangen an meinem zweiten Album zu arbeiten.“
Ganz bewusst nahm Crabtree sich anschließend Zeit, um die neuen Stücke auszuarbeiten. „Ich wollte für jeden Song die richtigen Musiker und das richtige Studio finden“, sagt er. „Für „Lawless“ zum Beispiel hatte ich diesen großen, hämmernden Refrain im Kopf, also engagierte ich Nathan Doucet aus Halifax, der einen unglaublich kraftvollen Drumstil hat, und nahm seine Parts in einem Studio in Nova Scotia auf, das sich in einer riesigen Halle befindet.“ Auch in Montreal, New York, Toronto und sogar in seinem Elternhaus im ländlichen Lancashire tüftelte Crabtree an Songs. „Mein Bruder ist Schlagzeuger und hat sich Zuhause ein kleines Studio eingerichtet“, sagt er. „Dort machte ich ein paar Tage Pause, während ich auf Tour war.“ Die Produktion des Albums übernahm Crabtree erstmals selbst, lediglich beim Abmischen ging ihm Graeme Campbell (Buck 65, Rich Aucoin) zur Hand.
Das Ergebnis ist laut Crabtree „viel ausgetüftelter als mein Debütalbum“. Im Zentrum steht nach wie vor seine eindringliche Stimme, voller Ehrlichkeit und Rauheit. Auch die gezupften Akustikgitarren und die hypnotischen Loops, die schon den Sound seines Debütalbums ausmachten, sind noch da, doch Crabtree beschreitet gleichzeitig neue Pfade: Vom Opener „Enough“ mit seinen markanten Drum-Loops bis zu dem mit Klarinette und Marimba verzierten Titelstück ist „Go On“ voll mit spannenden Sounds, vielschichtigen Vocals und dezenten Streicher- und Bläser-Arrangements.
Gut ein Dutzend befreundete Musiker halfen Crabtree bei den Aufnahmen. Langzeitkollaborateur Gregory Burton arrangierte die Bläser, Pietro Amato (The Luyas, Bell Orchestre) die Streicher. Michael Feuerstack, der Cabtrees Debüt produziert hatte, steuerte einige Gitarren und Backingvocals bei und die Marimba und Steel Drum auf „Go On“ stammen von Thomas Kozumplik von der Instrumental-Band Clogs, mit denen Crabtree bereits einen Song für seine 2013 veröffentlichte EP „Live At St. Matthew’s Church“ aufgenommen hatte. Man hilft sich eben gerne aus in der Musikszene Kanadas.
So kam es auch, dass Crabtree kürzlich gebeten wurde, seine Songs für das Symphonie-Orchester Nova Sinfonia zu arrangieren. „Einmal im Jahr organisieren sie diese Konzerte, für die sie mit unterschiedlichen Künstlern kollaborieren“, erklärt er. „Ich habe sechs Monate mit Arrangieren verbracht. Für mich war das ein Traum, der wahr wurde – nur dass ich mich nie getraut hätte, so etwas überhaupt zu träumen! Es hat mir viele Türen geöffnet: Im Sommer zum Beispiel werde ich Musik für ein Kammerorchester arrangieren. Die Leute haben im Kopf immer diese Barriere zwischen Unterhaltungsmusik und Klassischer Musik, dabei gibt es so viele Möglichkeiten, beides zu verbinden.“ Das heißt das dritte Paper-Beat-Scissors-Album wird eine orchestrale Angelegenheit? Crabtree lacht. „Warum nicht?“