MORITZ KRÄMER
ICH HAB EINEN VERTRAG UNTERSCHRIEBEN 1&2
CD // ltd. 2-LP im Klappcover // Digital VÖ: 1. Februar 2019 // Tapete records
Bevor die nächste Platte seiner Band „Die Höchste Eisenbahn“ rauskommt, hat Moritz Krämer ein Doppelalbum aufgenommen, über ein Thema, das uns alle betrifft, aber selten im Plattenregal zu finden ist: Verträge.
„Ich hab einen Vertrag unterschrieben 1&2“ ist der Monolog eines düpierten Erzählers. Er glaubt hinters Licht geführt worden zu sein und schreibt Briefe an seinen Vertragspartner. Er will seine Schulden begleichen, überlegt wie er sich aus der Verantwortung stehlen kann. Dabei sieht er nochmal zurück, zur Seite, nach vorn, verliert sich und vergisst, was er eigentlich wollte.
Das klingt kompliziert. Bei Krämer klingt es ganz einfach: „Wenn dein Deal ein guter ist, wieso musst du mich dann zwingen?“ oder „Ich hab einen Vertrag unterschrieben, aber die Zeiten ändern sich.“
Mal klingt die Platte zurückgelehnt wie Whitney oder Andy Shauf, wenn ein trockener Beat (Hanno Stick am Schlagzeug) unter warmen Streichern begraben wird, mal wie Kevin Morby, Wilco oder Courtney Barnett, mal erinnern die Arrangements mit Bongos, Motownstreichern und dem Beatlesbass von Alex Binder an Hymnen von Curtis Mayfield oder Gladys Knight, durch Andi Fins’ Klavierspiel an Randy Newman oder Todd Rundgren. Am Ende ist es immer Krämers Stimme und seine Art zu singen, die den Sound der Platte ausmachen, die die deutsche Sprache so leicht und melodisch klingen lassen.
Wie Krämer schon auf seiner ersten Platte „Wir können nix dafür“ die großen Themen mit Wasserflecken auf dem Boden besang, so ist auch „Ich hab einen Vertrag unterschrieben 1&2“ keine Platte über juristische Schriftstücke, sondern über Liebe, Streit und Versöhnung. Insofern unterscheidet er sich thematisch nicht von Matthias Schweighöfer oder Max Giesinger, sie drücken sich nur unterschiedlich aus. Bei Schweighöfer heißt es: „Immer wenn ich dich singen hör, kommt alles Gute von selbst“, bei Krämer klingt Glück so: „Es gibt einen der als Erster ankommt, und Kinder, die auf Rollschuhen vorbeifahren.
Musik ist die Antwort, aber niemand hat gefragt
OVE haben trotzdem eine Platte aufgenommen und mit dieser dem tausendäugigen Wal eine neue Schuppe geschenkt. Wale haben keine Schuppen? Dann eben ein Horn, so lang, dass es auch dann noch zu sehen ist, wenn der Wal den Grund nach Krill absucht.Â
Jeder der die Grenzen seiner Welt schon lange abgesteckt hat und glaubt über wichtig oder nichtig in 30 Sekunden entscheiden zu können, höre hier bitte bitte ein bisschen länger und genauer hin. Diese Songs machen dich nicht traurig, sie kicken dich soft von der Klippe und fangen dich auf halbem Flug wieder ab.Â
Nein, Ove Thomsen ist nicht der erste junge Mann in Jeansjacke, der fragt wohin mit sich im Gefühlsmoloch, aber wie er singt „Dieses Hin und Her findet kein Ende mehr“: Das ist die neue Schuppe, das neue Horn. Wenn er im 2 und halb-minütigen Husarenstreich „Ich will ein Haus bauen“ schreit „Solange sich mein Körper wehrt, machen wir Musik“, meint man, Conor Oberst singe leise als Fussnote: „let the traveling band on the Interstate remain“. Sowieso klingt hier einiges an guter Musikgeschichte mit. Da wo z.B. „Faden und Fell“ aufhört, könnte auf einem Sommer-in-Schweden-wenn-mal-die-Mücken-ausser-Acht-lässt-Mixtape „Avalanche“ von Leonard Cohen kommen. Wir sehen auf diesem Album den Dreck unter den Nägeln von Neil Young, schmecken den Kork im Wein von Sven Regener und grüßen Gisbert zu Knyphausens geliebt/gehassten Melancholie-Clown, der auch in OVEs Tourbus einen fest zugewiesenen Platz hat.
Der russische Grübler Fjodor Dostojewski meinte mal über Columbus, er sei nicht glücklich gewesen, als er Amerika entdeckte, sondern als er es entdecken wollte. In diesem Sinne sind auch OVE glücklich und machen glücklich, zumindest mich. Merci für diese Musik.
Von Francesco WilkingÂ
Das Konzert wird präsentiert von Musik Express + ByteFM