Wenn VON LUFT, die neue Hamburger Band-Sensation um Anne Otto (Gesang, Lyrics) und Jochen Schmadtke (Gesang, Gitarre, Lyrics) nicht gerade von Luft und Liebe singt, dann geht es z.B. um halbkaputte Geldautomaten, Herzpillen oder Roadtrips, die manchmal da enden, „Wo die Flamingos stehen“ – so auch der Titel ihres Debut-Album, das diesen Frühling bei our own Bohemian Strawberry Records (im Vertrieb von Broken Silence) erscheint: Für reale Euphorie sorgen ihre hellsichtige Songs zwischen Pop, Americana und New Wave. Sie beschreiben das kleine Glück im Alltag so poetisch, dass auf Anhieb ganz viel großes Glück entsteht.
VON LUFT
Von Kerstin + Sandra Grether
Auf dem Hausplattenspieler von Bohemian Strawberry Records drehen ja ganz oft Beatles und Kinks Platten ihre Runden, und auch auf unseren Mp3 Playern haben wir die 60`s – Legenden ständig im Ohr. Deshalb waren wir umso glücklicher, als sich diese Band VON LUFT mit ihrem Demo bei uns beworben hat. Wir konnten es direkt auf den MP3 Player nach den Beatles und Kinks beamen. Und es hat sich genauso luftig und wunderschön angehört; diese Fähigkeit zu blühenden und glücklich machenden Melodiebögen, die nur mit einem seltenen Gespür /Herz für die richtigen Harmonien entstehen können. Und der Clou dabei: VON LUFT machen aber moderne Musik; diese besonders gelungenen Kompositionen sind nur der Kern, um den herum es poppig und Americana-haft schwirrt. Jochen Schmadtke spielt eine herzwarme und knisternde Folk-Pop-E-Gitarre zu der Anne Ottos pastellfarbener, euphorischer Gesang perfekt passt.
Wie überhaupt dieses Paar perfekt zu harmonieren scheint, was man schon daran merkt, dass auch Jochen Schmadtke Lieder singt, beide haben genug Raum für sich und Luft zum Atmen, so klingt Beatle`scher Harmoniegesang im Jahr 2019, wenn man das Pop-Patriarchat abgeschafft hätte, und es für möglich hielte, dass auch eine Frau und ein Mann, die verheiratet sind und ein Kind gemeinsam großziehen, Musik zusammen machen können. Wie einst Yo La Tengo oder Ian & Sylvia.
Eine gelebte Beziehungsutopie also – in unromantischen Zeiten, wo nur noch die Rede von “gestressten Eltern” ist. Wer möchte das nicht; einfach mal das sogenannte “gute Leben” weiterleben, und das geht natürlich auch nur mit (musikalischer) Emanzipation. Denn solange wie es in deutschen Wohnküchen und in der deutschen Musiklandschaft so üblich ist, dass vor allem die Männer weiterkommen und in Position gehypt werden, jene Personengruppe also, die Musik gerne als Wissensvorsprung vor den Frauen und Imponierwerkzeug lebt, ist VON LUFT ein seltener Diamant, ein Schmetterling mit zwei gleichen Seiten.
Wer sind die beiden?
Jochen Schmadtke ist Musiker und außerdem Bildender Künstler und Fotograf. Und Anne Otto (ja, sie heißt tatsächlich so!) ist Musikerin, Autorin und Journalistin. Nach einer Ausbildung als Psychologin stand sie vor dem Dilemma, dass sie, die damals schon wilde und hellsichtige Kurzgeschichten schrieb, lieber schreiben und dichten wollte, als z.B. als Zukunftsbeauftragte in einem Frauen-Knast zu arbeiten. Die Geschichten aus dieser Zeit fließen in ihre Texte mit ein. Sie beschloss „Psychologie-Journalistin“ zu werden und schreibt heute z.B. für Spiegel Online die wirklich interessanten medizinischen Texte über Körper und Seele.
Gemeinsam haben Jochen und Anne schon zwei zauberhafte Platten unter dem Namen HELIKON gemacht.
Und jetzt: VON LUFT! Neuanfang! Auf dem Album trifft Americana auf „ Heart of Glass“, Up-Tempo-Folk-Duette und Mariachi-Einfluss auf Gentrifizierungs-Kritik. Früher hätte man solche Leute vielleicht urbane Hippies genannt, heute sind es eher die urbanen Workaholics, die mit so viel Optimismus und Zuversicht aufgewachsen sind, dass all diese vielfältige Arbeit immer noch Spaß macht. So dass ihre Musik auch Leuten einen Boden bereitet, die diesen bereits verloren zu haben glauben. Die Kritik, die Anne Otto in dem Song „Von dir erzählt man sich“ am neureichen Biedermeier ihres Szenestadtviertels in Hamburg übt, erinnert an die Erzählperspektive von Anke Stellings „Schäfchen im Trockenen“(Verbrecher Verlag).
Der Kampf, der zwischen Arm und Reich im Viertel stattfindet, wurde bei VON LUFT auf jeden Fall schon mal mit innerem Reichtum beantwortet, und das war ja auch schon das, was die Kinks – unserer unmaßgeblichen Meinung nach – besser machte als die meisten anderen Bands ihrer Generation. Warum einem Song nicht mal drei Leitmelodien gönnen, die sich so wunderbar von den schrecklichen TCHIBO-tauglichen Deutschpop-Melodien unserer Tage abheben, statt nur einer; wenn man sich schon als “Genussmensch” durch einen Alltag durchschwingen muss, in dem die anderen Mütter auf dem Spielplatz nicht mal ihre Dinkelstangen teilen…
VON LUFT, so blöd das klingt, überzeugen auch mit einem wissenden und zugleich kindlich-naiven Augenzwinkern; mit Achtsamkeit und Lebensfreude – inmitten all der geschäftigen, engstirnigen, kalten Szeneviertel-Stadtwelt, in der die einen für die Miete strugglen und die anderen mit Luxus protzen. Der Album-Opener „Als wir ganz neu waren“ spielt im Hamburger Molotow Club, der bekanntlicherweise auf der Reeperbahn liegt:
„Jeder steht alleine auf dem Boden voller Scherben / doch hey, wir sind „Heart of Glass“, es knirscht wie irgendwas… Und draußen auf der Reeperbahn / da vorne vor dem Fenster / da laufen aus vergang`ner Zeit zwei Hühner wie Gespenster.“
Anne Otto sagt dazu:
„Die Vision von Hühnern, die auf der Reeperbahn herumrennen. St. Pauli noch immer als ein zum Teil freier Raum, wo man die Visionen und Ideen haben kann, die man haben will – doch mittlerweile sind die Hühner schon ein bisschen aufgescheucht und suchen nach Nischen zwischen Glasfassaden und Mainstream-Unterhaltungsindustrie. Daneben natürlich ein Stück über das immer wieder auf Konzerte gehen und abends mit dem Fahrrad nach Hause fahren – durch den Schnee oder nachts im Sommer im T-Shirt: „Auf dem gleichen Weg – niemals auf dem Weg“.
VON LUFT vermögen es, das kleine Glück im Alltag aufzunehmen, mit überraschenden Metaphern und Wortspielen, so dass in den Songs auf Anhieb ganz viel großes Glück entsteht! Die Journalistin Verena Rygers (INTRO) sagt:“Die Lieder, die im Club und im Nachtleben spielen, sind die von Anne und da wo es Wasser und Flüsse gibt, das sind die Songs von Jochen.“
Und, ja richtig, bei VON LUFT gibt es dann, nach all der heiligen und leichten Mühe, immer noch eine Fähre, die einen über den Fluss bringt. Weil man auf die andere Seite muss! “Wir verstecken uns hinter den Garagen, verstecken uns so lang. Und die Fähre über dem Fluss muss mich mitnehmen, weil ich auf die and`re Seite muss,” singt Jochen Schmadtke, und: “Man kommt rüber, aber nie dran vorbei, der Weg zur Fähre ist viel zu weit.”
Wir lieben sie! Die beiden sind der Hammer, und dabei so leichtfüßig, auf einem Bein und in Umarmung. Ihr Debut-Meisterwerk WO DIE FLAMINGOS STEHEN harrt einer Auseinandersetung und Entdeckung. Töne entstehen ja bekanntlich, indem man Luft zum Schwingen bringt. So haben VON LUFT in ihrem Bandnamen, wie nebenbei, das schönste Geheimnis der Musik im Titel.
Zum Glück bleiben in den Songs und in ihren manchmal mysteriös anmutenden Beschreibungen von Orten und Begebenheiten aber noch genug Geheimnisse und unentdeckte Winkel übrig: da ist, in anderen Worten noch viel Luft zum Träumen, Tanzen und Atmen drin!
Mal ganz davon abgesehen, wie sehr wir “Herrenmenschendeutschland” diese Band “gönnen”… Wo man so ganz albern werden und sagen will: stell dir vor es gibt Hass und “Survival of the fittest” und keiner geht hin…