Klar, Ian Hooper hätte einfach so weitermachen können: Ein weiteres Album mit Mighty Oaks aufnehmen, mit ziemlicher Sicherheit wieder weit oben in den deutschen Charts landen und beste Kritiken für die wunderschön melancholische Tiefe der Songs ernten. Aber Ian Hooper ist nicht auf einen komplett anderen Kontinent ausgewandert, er hat nicht sein abgeschlossenes Politikstudium für ein Leben als Künstler und einen festen Job zugunsten des Abenteuers Musik aufgegeben, weil er der Typ ist, der einfach so weitermacht.
„Es gibt für mich nichts Schlimmeres als Stillstand“, sagt Ian. Und da war dieses Feuer, das bereits seit einer Weile in ihm brannte, ein Wunsch, der immer größer wurde. Er hatte viel mit einer wilden, ungezähmten Energie zu tun, die auch bei Mighty Oaks schon immer in seiner Stimme war und die er bei Konzerten der Band oft spürte. Die sich aber nicht Bahn brechen konnte, weil Singer-Songwriter-Folk dafür einfach nicht das Genre ist. „Ich wollte, dass die Leute im Publikum auch hüpfen und übermütig mitsingen! Ich wollte positive Energie in den Liedern haben, Songs, die Wucht haben, aber trotzdem eine Leichtigkeit verströmen.“
Kurz gesagt: Ian Hooper wollte ziemlich viel. Und genau das machte die Suche für ihn so schwierig. „Ich wusste, dass ich mich auf neue Arten ausdrücken wollte. Aber wie genau? Das war mir lange nicht klar. Es ist schwer zu wissen, welchen Weg man einschlagen soll, wenn so ziemlich jede Richtung möglich ist.“ Es kam, wie es in den besten Momenten des Lebens oft kommt: komplett unvorbereitet. Mit befreundeten Produzenten, Tobias Kuhn (u.a. The Kooks, Die Toten Hosen) und Philipp Steinke (u.a. Boy, Bosse), traf er sich vor einigen Monaten im Kellerstudio seines Hauses für eine Kreativsession, mutmaßlich für ein neues Mighty-Oaks-Album, das die Band zu diesem Zeitpunkt bereits fertig geschrieben hatte. Am Ende stand der Track „Here To Stay“ – und der Beginn von Ian Hoopers Solo-Karriere: „Nachdem ich den Song zum ersten Mal gehört hatte, nachdem ich alle Teile zusammengefügt hatte, von Anfang bis Ende, fühlte es sich an, als hätte ich den Schlüssel zu einer Tür gefunden, die seit Ewigkeiten verschlossen war.“
Folgerichtig ist „Here To Stay“ auch die erste Single, die Ian Hooper im Oktober mit der Welt teilt. „If I would care what people say / Things would never go my way / You helped me to believe in myself / Pulled me outta my own hell” – „Here To Stay” ist ein Song über das Verfolgen von großen Träumen, das Hinfallen und das Aufstehen, Momente großer Zweifel und noch größerer Triumphe, wenn man entgegen aller Wahrscheinlichkeiten am Ende doch noch steht: „Oh-oh-oh / I’m still here / I’m here to stay”, singt Ian Hooper, dessen befreitem Vortrag man die ganze angestaute Energie der letzten Jahre anhört. Die Soundscape ist rauschend, leise Momente steigern sich in euphorisierende Refrains – und die Ausrichtung ist ganz klar Pop. „Meine Ambition ist es, kredible Popmusik zu machen“, sagt Ian dazu. „Früher war ich komplett Anti-Pop. Ich habe mich als Indie-Mucker gesehen, ‚scheiß aufs Radio‘ war die Haltung. Heute weiß ich: Einen richtig guten Popsong zu schreiben, das ist die absolute Königsklasse.“ Mit „Here To Stay“ spielt Ian Hooper definitiv in dieser Königsklasse.
Los ging alles mit einer Bitte, die er an Tobias und Philipp hatte: „Jungs, ich will keine Ein-Tages-Session machen, ich würde gern mindestens zwei Tage mit euch haben“. Ian wusste: als gefragte Produzenten schreiben die beiden mit vielen Künstler:innen, nach einem Tag müssen normalerweise alle Melodien und Aufnahmen sitzen. Instrumente selbst einspielen? Dafür ist in der Regel keine Zeit, zumal sämtliche Samples der Welt mit einem Klick verfügbar sind. Ian ist jedoch überzeugt: „Da geht zu viel von der Magie verloren. Man muss erst einmal über eine bestimmte Schwelle kommen und dann entfaltet sich alles.“ Er will alles live aufnehmen: Klavier, Gitarre, Akustikgitarren, Drums. Über echte Verstärker. „Und dann schmeißen wir es auf die Bandmaschine.“ Zwei Tage sitzen die drei zusammen, bedienen in wechselnden Rollen die Instrumente und Rechner, spielen ihre Ideen ein – und der Plan geht auf: „Zwischen uns hat sich eine krasse Energie entwickelt. Und wir alle wollten mehr davon.“
Phillip hat Familie in Italien, und so buchen sie sich kurzentschlossen für eine Woche in Sizilien in ein Studio ein. Am Ende haben sie neben „Here To Stay“ aus der Berliner Session drei weitere Songs geschrieben und aufgenommen. Sie handeln von Dingen, die Ian wichtig sind – Menschen, die ihm nahestehen, Erfahrungen, die er durchgemacht hat, die Welt, wie er sie sieht –, können jedoch immer auch so gelesen werden, dass man sich selbst darin wiederfindet. Weil man sie so oder so ähnlich aus dem eigenen Leben kennt. Und weil man sie fühlt. All das eben, was einen guten Songwriter ausmacht.
Thematisch muss sich Ian Hooper für seine Solo-Songs nicht neu erfinden – wer den unglaublich sympathischen 35-Jährigen ein wenig besser kennt (und das tut spätestens seit seiner Mitwirkung bei „Sing meinen Song“ halb Fernsehdeutschland), weiß, was ihm wichtig ist und die Themen seiner Songs beeinflusst: wie nahe ihm seine Mutter Aileen stand, wie dankbar er für das Familienglück mit seiner Frau Johanna und ihren beiden Söhnen ist – und dass er ein im allerbesten Sinne „normal guy“ ist, der glücklich ist, wenn er in seinem Garten abhängen oder mit lauter Musik in seinem alten 3000€-Mercedes durch die Gegend cruisen kann. All das hat sich nicht geändert, noch nicht einmal mit seinen Bandkollegen hat er sich zerstritten: sie verstehen sich bestens und werden als Mighty Oaks weiter Musik veröffentlichen.
Was sich allerdings grundlegend geändert hat, ist der Sound seiner Solo-Songs. So sehr, dass Ian sogar von einem „kompletten Neuanfang“ für sich spricht. „Ich habe in den letzten zehn Jahren mit meiner ersten und einzigen Band Musik veröffentlicht, und es war eine unglaubliche Reise – eine, die mich so viel über Musik und mich selbst gelehrt hat.“ Doch ein Jahrzehnt ist eine lange Zeit. Dinge verändern und entwickeln sich. Ian wollte den nächsten Schritt als Künstler machen, mehr und mehr wurde ihm klar, „dass ich ein anderes Ventil für mein Songwriting brauche, für die Songs und die Energie, die nicht in die Welt von Mighty Oaks passen.“
Doch wann würde der richtige Zeitpunkt für diesen Schritt sein? Lange plagte sich Ian mit dieser Frage herum, dann kam jene wegweisende Session mit Tobias Kuhn und Philipp Steinke. „Wenn etwas praktisch vom Himmel fällt und sich so natürlich anfühlt, das ist… nenn es Schicksal oder was auch immer. Aber eines weiß ich: ich muss es nehmen und damit losrennen. So schnell und so lange, wie ich kann. Denn wenn ich das jetzt ignoriere, geht dieser besondere magische Moment vielleicht vorbei.“
Die Tage des Stillstands sind für Ian Hooper definitiv vorüber.