DAS PARADIES – GOLDENE ZUKUNFT
„Ich bin das Schlimmste, was Euch passieren kann…ich bin nur der Schimmer eines Irgendwann“.
Schon die ersten Zeilen und Takte dieses Albums lassen erahnen:
Das Paradies ist eine Wohlfühloase der dritten Art, ‚Goldene Zukunft’ Feelgood- Musik in schlau, die mit Erwartungen und Assoziationen 17 und 4 spielt; man weiß nicht, was das Schlimmste ist und schaut verwirrt den Melodien zu, wie sie wie Seifenblasen in einem Märchenwald aufsteigen, an den Stacheln der Zweige zerplatzen und als Holzperlen den Zwergen auf die Füße fallen.
Unser aller Goldene Zukunft sieht aktuell vermutlich kaum jemand. Nicht mal eine silberne. Sievers macht dieses Lied trotzdem zum Titelstück seines Debütalbums. Und es entpuppt sich als kluge Gegenwartsbeschreibung. Jede Zeile wirft der anderen einen Stock zwischen die Beine und einfache Antworten werden mit Phrasen als Phrasen entlarvt. Ein Geniestreich zwischen Zynismus und Menschenliebe. Ein trojanischer Überhit und als, so erzählt man sich, erster Paradies-Song eine Blaupause für Zeilen wie „Sind das da drüben wirklich Windkraft- oder Erdantriebspropeller?“ (Discoscooter) oder „Wir dürfen alles und wollen wenig und wenn wir wollen trauen wir dem Dürfen nicht.“ (Dürfen die das).
Mancher kennt Florian Sievers als Teil des Popduos Talking to Turtles. Unter dem Künstlernamen ‚Das Paradies‘ schreibt und singt Sievers das erste Mal in seiner Muttersprache, und das macht er so beeindruckend leicht, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht.
Was ist hier los?
Sievers Musik ist von Indierock der Sorte „Slacker von Weltruhm“ geprägt und mit feinen Soundtupfern aus der Reggae-, Dub- und Deephouse-Welt versehen, es herrscht eine freundliche, fast hippieeske Stimmung.
Die Wort- und Klangwelt von Das Paradies kauzt Sievers als Teilzeit-Eremit in seinem Leipziger Studio zusammen. Ein 20qm Versuch-und-Irrtum-Freiraum, nur eine Stunde ICE-Bordrestaurant vom fensterlosen aber legendären Berliner Einhornstudio seines Freundes und Produzenten Simon Frontzek entfernt. Wann immer Zeit war, nahmen sie zusammen dieses himmlische Faulenzer-Meisterwerk auf. Brückentags-Produktion zwischen Kneipe und Mischpult. Hat natürlich etwas gedauert. Ein Streber ist Das Paradies nicht.
Als Zeitauskoster sind seine Beobachtungen und die daraus resultierenden Phrasen immer wunderbar ausgereift. „Ich rauche, rauche, rauche, nur wenn ich schlafe nicht, keine Sucht, nur eine Weise, auf die meine Zeit zerbricht“ (Die Giraffe streckt sich), ist einer dieser typischen, tiefenentspannten Sievers-Sätze. Meditativ, kontemplativ. Das Paradies zweifelt grundsätzlich an jeder Position, bevor sie wohlmöglich noch zur lästigen Besitzstandswahrung verkrustet. Ist das richtige Wort gefunden, lässt er es gleich wieder ziehen. Pop als Zen-Meditation in einer Welt, in der die Menschen wieder in ihren Standpunkten verhärten.
„Das Universum weiß es auch nicht, wie ihm gerade so ist. Was wie ein Ja aussieht, könnte auch ein Nein sein. Das mit uns allen, war doch gar nicht so ernst gemeint.“ Ein Album, das uns mit diesen Zeilen entlässt, kann eine Befreiung von der Paranoia sein oder ein Plädoyer für die Entspannung oder beides.
ALBRECHT SCHRADER
Albrecht Schraders Leben dreht sich in einem Maße um Musik, dass einem schwindelig werden kann. Letztes Jahr veröffentlichte er auf Staatsakt die EP „Leben in der Großstadt“, deren Titelsong sich im Laufe der Zeit zu einem viel beachteten Szenehit entwickelt hat. Auf der anschließenden Kurz-Tournee erwies sich der Musiker zudem als versierter, wortgewandter Entertainer, der es versteht, das Publikum durch Witz und Esprit in seinen Bann zu ziehen.
Nebenher fand der gebürtige Hamburger mit Wohnsitz in Köln Zeit, Klavier auf dem neuen Album von Pete Doherty zu spielen. Auf der Herrenmagazin-LP „Sippenhaft“ ist der vielseitige Musiker in der Funktion als Pianist und Gitarrist zu hören. Damit nicht genug, ließ er es sich nicht nehmen, Theatermusik für die Aufführung des von Thomas Melle („Die Welt im Rücken“) verfassten Stücks „Ännie“ am Theater Bremen zu komponieren. Abgerundet wird diese fast schon maßlos anmutende Aktivität dadurch, dass Albrecht Schrader zusammen mit Lorenz Rhode als musikalischer Leiter des sogenannten Rundfunktanzorchesters Ehrenfeld fungiert, hinter dem sich nichts Geringeres verbirgt als die Showband des Neo Magazin Royale, das bekanntlich von Jan Böhmermann moderiert wird. Der ehemalige Blockflötenschüler Schrader scheint emsig damit beschäftigt, den seit dem Tod von James Brown vakanten Posten des „hardest working man in showbusiness“ neu besetzen zu wollen.
Das Konzert wird präsentiert von Musikexpress, Diffus, Herzmukke + Bedroomdisco