PASS!ON VICTIM, Hamburgs nicht mehr ganz so neue Konzertreihe im Knust, geht am 16.Mai bereits in die sechste Runde. Mittlerweile hat sich die Veranstaltung als Treffpunkt für Musikliebhaber etabliert, denn neben gestandenen Künstlern erhalten hier auch noch weitestgehend unentdeckte Bands die Möglichkeit, eine große Bühne zu bespielen. Als besonderes Highlight der kommenden Ausgabe ist eine der kunstvollsten deutschen Bands angekündigt – SLUT. Zu ihr gesellen sich nicht minder hervorragende, wenn auch nicht ganz so bekannte Bands wie SOUL SISTER DANCE REVOLUTION, die mit ihrem Electro/Indie-Sound die Meute ganz bestimmt zum tanzen bringen werden. Den Opener für unser Festival machen diesmal SCARLET CHIVES aus Dänemark, bei der auch Brian Batz von Sleep Party People mitmischt.
Abgerundet wird der Abend wie immer mit kreativer Dekoration und einem DJ-Set.
Die Tickets kosten 19,50 € zzgl. Gebühren im Vorverkauf.
Auch dieses Mal bieten die Veranstalter einen VorFairKauf an: Bei der Theaterkasse Schuhmacher sind umweltfreundlich gedruckte und mit einer 50-Cent-Spende an Hinz&Kunzt versehene Hardtickets erhältlich!
SLUT. ALIENATION
von Juli Zeh
Chris Neuburger sagte einmal, über Musik zu reden sei ähnlich erfolgversprechend wie der Versuch, zu Architektur zu tanzen. Man könnte ergänzen: Über Alienation zu reden, gleicht dem Ansinnen, Zeitgeist mit dem Strohhalm zu trinken.
Das neue Album von Slut kommt mit Opus-Magnum-Aura daher. Viele Autoren haben das Buch, bei manchen Regisseuren gibt es den Film. Slut haben noch nie in der zwanzigjährigen Bandgeschichte Mist produziert. Im Gegenteil arbeiten sie mit einer souveränen Professionalität, die sie zu einem beinahe singulären Phänomen im deutschen-aber-englisch-singenden Alternative Rock machen. Aber mit Alienation ist es Slut gelungen, noch einmal über sich hinauszuwachsen. Sowohl musikalisch als auch textlich legt das Album einen Finger auf den Nerv der Zeit.
„Erfinde dich selbst und sei dann du selbst“ lautet der ebenso paradoxe wie perfide Imperativ des 21. Jahrhunderts. Die Auswirkungen gleichen einer geistigen Querschnittslähmung. Statt die eigene Freiheit kreativ und verantwortungsbewusst zu nutzen, werden „most of us turn petit bourgeois“, wie Slut es im titelgebenden Song „Alienation“ formulieren, und, in offener Kritik an ihrer autoversessenen Heimat Ingolstadt: „As long as the cars stay running they stay amused“.
„Alienation“, also Entfremdung, entsteht dabei auf zwei Arten. Entweder, indem man krampfhaft am Bekannten festhält, während sich die Außenwelt in Bewegung befindet. Oder indem man beim Versuch, durch notorische Selbsterfindung up to date zu bleiben, den Boden unter den Füßen verliert. Wie also soll es gelingen, sich in einer Zeit, die ständigen Aufbruch verlangt, selbst treu zu bleiben?
Slut geben die Antwort schon durch ihre Werkgeschichte. Die Quadratur des Authentizitäts-Kreises glückt ihnen, indem sie Erprobtes und Gekonntes immer wieder als Ausgangspunkt für Grenzüberschreitungen nutzen. Neben und zwischen den Platten interpretieren sie die Dreigroschenoper neu oder gehen mit mir und meinem Roman „Corpus Delicti“ auf Schallnovellentour.
Das ist die Botschaft von Alienation: Entscheide dich nicht zwischen Bleiben und Aufbruch und schon gar nicht zwischen Versteck oder Flucht. Verlier dich nicht im Entweder-Oder, sondern lerne, die Quelle deiner Kraft im Sowohl-als-auch zu entdecken. „Go on and drive“, heißt es in „Anybody have a roadmap“, und „Keep your eyes fixed on anything you seem to know“. Oder: „It’s that love and hate relation that keeps us hanging on“ („Alienation“).
Musikalisch drückt sich diese Haltung in einem souveränen Parcours durch die Stilrichtungen aus. In der Kunsttheorie bedeutet „Alienation“ Verfremdung, also eine erneuernde Anverwandlung, die Vertrautes in neuem Licht erscheinen lässt und auf diese Weise kritische Distanz ermöglicht. Genau das tut das Album, ohne dabei ins Zitathafte zu geraten. Die Handschrift der Band ist unverkennbar und hat über die Jahre eine musikalische Persönlichkeit herausgebildet, die es sich erlauben kann, den eigenen Horizont in jede Richtung zu erweitern.
So erklimmen Slut mit Alienation die nächste Stufe der Polyvalenz. Die Lieder brechen mit dem klassischen Song-Schema, wechseln die Richtung, überraschen mit immer neuen Einfällen und bewahren trotzdem ihren Ohrwurmcharakter. Den verbindenden Grundansatz könnte man als „zurückhaltende Opulenz“ beschreiben. Slut fährt auf, was Slut hat und kann, aber ohne den Hörer im Orchestralen zu ertränken. Immer bleiben die verwendeten Mittel klar erkennbar, jede Stimme unterscheidbar, jedes Geräusch bei sich selbst, jedes Klang-Panorama sauber geschichtet. Bis hin zur Präzision eines Elektro-Minimalismus‘ („Broke My Backbone“), der sich von Loop zu Loop zur mitreißenden Hymne steigert, um beim Sound einer Knochensäge zu enden.
Es gibt viele Arten des Älterwerdens, und die meisten sind scheiße. Die Kräfte schrumpfen, die Neurosen blühen. Jede getroffene Entscheidung ein Massaker an ungenutzten Möglichkeiten. Mit Alienation führen Slut vor, dass echte Reifeprozesse mit einem Anwachsen von Vitalität zu tun haben. Alienation ist ein Buch mit vielen Kapiteln, die alle davon erzählen, wie man auf der Reise durchs 21. Jahrhundert und durch die eigene Biographie bei Kräften, bei Verstand und bei sich selbst bleiben kann. In dieser Musik fühlt man sich zu Hause, ohne den Geruch ungelüfteter Sofakissen ertragen zu müssen.
Also, bitte: Kaufen, staunen, genießen. Und jetzt mache ich Schluss und tanze eine Villa.
SCARLET CIVES sind ein äußerst spannendes und einzigartiges Projekt aus Dänemark. Der eigentümliche Gesang von Maria Holm-Mortensen bewegt sich zwischen den lautmalerischen Silben von Björk und den eindringlichen Tonlagen von The Knife, erinnert auch schon mal an Kate Bush. Eingehüllt in gewaltige Synthie-Flächen und Gitarrenwände verwebt das Quintett Scarlet Chives in beschwörerischen Pop-Seancen düstere Fantasien mit verborgenen Ängsten. Diesem Ansatz folgt auch das grossartige Video zu „The Timber Will Fall“. Mit matriarchaler Selbstverständlichkeit halten sich hier zwei Frauen einige Männer in einer einsamen Waldhütte und beherrschen diese durch ebenso lustvolle Fürsorge, wie Erniedrigung. Die rohe Körperlichkeit der Darstellung hat zu einer Sperre des Clips bzw zur Zensur auf Youtube geführt; weiter unten finden Sie den Link zur unzensierten Fassung. Das neue, zweite Album der Band „This is Protection“ ist ein vielschichtiges Werk mit Reminiszenzen an orchestralen Dreampop, windschiefen Folk und Post-Wave, kontrastiert von filigranen Melodien und eleganten Kunstgriffen. Ein echtes Indie- Pop-Juwel! Dass hier mit Brian Batz das Mastermind der Hasenmaskenträger von Sleep Party People seine Finger im Spiel hat lässt sich an mancher Stelle vielleicht schon erahnen. Nach dem selbstbetitelten Debüt 2011 tourten Scarlet Chives ausführlich durch Skandinavien. Im vergangenen Jahr wurden sie in ihrer Heimat zur „Alternative Band Of The Year“ nominiert. Dass Scarlet Chives nicht nur im Studio eine gute Figur machen, sondern auch live glänzen, zeigen sie im Mai auch in deutschen Clubs. „Eine der Bands für das Jahr 2014“ prognostiziert das deutsche Webzine Neolyd.